Die Pfennigkirche

Kleine Geschichte der Himmelfahrtskirche Lechbruck

Direkt am Ufer des Lechs, wo einst die Flößer ihre Stämme zusammenbanden und zur großen Fahrt nach Augsburg, Regensburg, Wien oder Budapest aufbrachen, steht die kleine evangelische Himmelfahrtskirche von Lechbruck. Der Volksmund nennt sie heute noch „Die Pfennigkirche“ und bewahrt damit die Erinnerung an sehr bescheidene Anfänge.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1945. Mit Ende des Zweiten Weltkriegs fluteten Evakuierte und Flüchtlinge das ehemalige Flößerdorf am Lech. Fast über Nacht verdoppelte sich die Bevölkerung und die Zahl der evangelischen Christen wuchs von dreißig auf dreihundert Seelen. Außer wenigen Habseligkeiten war den Neuankömmlingen nur der vertraute Glaube geblieben. Wer jedoch einen evangelischen Gottesdienst besuchen wollte, musste bis in die 20 km entfernte Christuskirche nach Füssen wandern. Von diesem Fußmarsch waren die Gemeindeglieder nicht begeistert und so ließ sich Pfarrer Nagel aus Füssen überreden: ab 1945 radelte er bei Wind und Wetter hinaus in die Diaspora und hielt alle vierzehn Tage Gottesdienst in Rieden, Lechbruck und Roßhaupten. Er soll nie zu spät gekommen sein, und falls er einmal nass geworden war, hielt Mesnerin Bräuer für ihn wie für alle Pfarrer trockene Kleidung von ihrem Ehemann bereit.

Anfangs traf sich die Lechbrucker Gemeinde in der Schule, später in der katholischen Kirche. In Rieden und Roßhaupten, wo ebenfalls evange-lische Gemeinden entstanden waren, wurde es ähnlich gehandhabt. Möglich gemacht haben das nachbarschaftlich eingestellte Pfarrer und Kommunen. Deren Großzügigkeit sollte allerdings nicht über durchaus vorhandene Spannungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen hinwegtäuschen. Mit Urlaubsgästen wussten die Lechbrucker seit den 20er Jahren freundlich umzugehen, aber ein „Flüchtling“ wurde schon mal aus der Kirchenbank gedrängt. Die Plätze im Dorf mussten neu verteilt werden und ohne Gerangel ging das eben nicht.

Sehr bald träumten die evangelischen Christen von einem eigenen Gottesdienstraum. An eine Kirche dachte zunächst niemand, aber sie wünschten sich nach den vielen erlittenen Verlusten einen Saal, in dem sie nach Herzenslust schalten und walten konnten. Ein altes Gebäude hatten sie in Lechbruck schon ausgeguckt. Was fehlte war das Geld. Gemeindepfarrer Nagel begegnete den ehrgeizigen Plänen skeptisch, weil er davon ausging, dass die meisten Flüchtlinge Lechbruck wieder verlassen würden. Doch sie blieben und taten, was jede Minderheit tut: Sie hielten zusammen.

Im März 1953 begannen sie, für ihr Gemeindehaus zu sammeln. Pfennig für Pfennig wanderte von nun an bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den Sparstrumpf. Jeden Monat klopften die Frauen an den evangelischen Haustüren und trugen die sprichwörtlichen Scherflein zusammen. Große Summen konnten die Gemeindeglieder vom Lebensunterhalt nicht abzweigen. Umso mehr beeindruckte ihr Engagement. Katholische Christen spendeten mit und binnen kurzer Zeit war eine so stattliche Summe erreicht, dass sich ein Neubau nahe legte. Das Grundstück am Lech gab die Kommune umsonst…. Im Mai 1955 erfolgte die Grundsteinlegung und im Oktober war die „Pfennigkirche“ fertig. Gekostet hat sie alles in allem 41 000 DM. Das war selbst für damalige Verhältnisse wenig. Trotzdem musste die Gemeinde noch viele Jahre ihre Pfennige zusammentragen, bis das Darlehen zurückbezahlt und die Ausstattung vollständig war. Die Mühe ist es ihnen wert gewesen.

(Jutta Martin, in: Evangelische Streifzüge zwischen Bodensee und Königswinkel, hg. vom Evang.-Luth. Dekanat Kempten)